Der Autor, Herr Karl-Heinz Gass, ist China-Experte und hat nachfolgend einige Fakten zusammengestellt, die der Versachlichung der Diskussion dienen sollen. Ziel ist eine Aufarbeitung und kritische Bewertung, um positive Impulse für die Zukunft zu generieren.
China, das Reich der Mitte, hat eine Bevölkerungsdichte von über 1,3 Milliarden Menschen. Die Hauptbevölkerung sind Han Chinesen, die ca. 92% stellen. Die 56 ethnischen Minderheiten haben einen Anteil von ca. 8%. China ist aufgeteilt in Provinzen, Municipalities und autonome Regionen. Die Municipalities und Autonomen Gebiete haben autarke Gesetzgebungen und pflegen ihre eigenen Sitten und Gebräuche, die tief in ihren alten Traditionen verwurzelt sind. Eine dieser Autonomen Regionen ist Tibet.
Die Zusammengehörigkeit von China und Tibet reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. In den Jahren 1206/1207 drangen die Mongolen bis Tibet vor. Um von den Angreifern nicht zerrieben zu werden, ergaben sich die Landesfürsten Tibets kampflos den übermächtigen Eroberern. Tibet wurde ins mongolische Reich integriert. Nach der Unterwerfung Tibets eroberten die Mongolen China. Mitte des 13. Jahrhunderts bestieg Khublai Khan, der Enkel Dschinghis Khans, den mongolisch-chinesischen Kaiserthron. Dies war der Beginn einer engen Verzahnung zwischen Tibet und den mongolischen Dynastien.
In enger Zusammenarbeit mit dem mongolischen Fürsten Gushri Khan gelang es dem fünften Dalai Lama, im 17. Jahrhundert ganz Tibet zu vereinen und die tibetische Theokratie zu vollziehen. Tibet sah unruhigen Zeiten entgegen. Seine Einheit geriet durch innenpolitische Auseinandersetzungen zwischen Adelsgeschlechtern, Provinzfürsten und verfeindeten Klöstern in Gefahr. Der 13. Dalai Lama versuchte das feudale System Tibets zu reformieren, scheiterte jedoch am hartnäckigen Widerstand des alteingesessenen Adels, der um seine Privilegien fürchtete.
Anfang des 20. Jahrhunderts, zeigten England und Russland großes Interesse an Tibet vor allem wegen seiner strategisch zentralen Lage im Himalaja und dem Tibetischen Hochland. Hierbei kam es zu massiven militärischen Auseinandersetzungen. Erwähnt sei die fast drei Jahre dauernde Besetzung der Stadt Gyantse durch die Engländer. Damals gab es zahlreiche Massaker. Viele Bewohner der Stadt begingen Selbstmord, um einer Hinrichtung zu entgehen. In der Zeit des „Dritten Reiches“ brachen im Auftrag der damaligen Regierung von Deutschland aus Expeditionen nach Tibet auf, um das sagenumwobene „Shangri La“ zu finden.
Nach der Gründung der Republik China durch Dr. Sun Yat-sen im Jahre 1912 vereinte die Regierung die Gebiete der Han, Manchu, Mongolen, Hui und Tibeter in einem großen Staat. Dies wird in der vorläufigen Verfassung der Republik China manifestiert. Das Territorium umfasst 22 Provinzen, die Innere Mongolei, die Mongolei, Tibet und Qinghai. Im gleichen Jahr wird der Dalai Lama wieder in sein Amt eingesetzt.
Im Jahr 1929 verstärkte die Zentralregierung der Republik China ihre Verwaltungsbemühungen um die mongolischen und tibetischen Gebiete und setzte die Kommission für Mongolische und Tibetische Angelegenheiten ein. Gemäß den historischen Konventionen behielten der dreizehnte Dalai Lama und der neunte Panchen ihre Positionen innerhalb der Zentralregierung. Tibetische Abgesandte und religiöse Würdenträger nahmen an den Nationalkongressen teil, die 1931, 1936 und 1946 stattfanden.
Der neunte Panchen und eine Gruppe anerkannter Amtsträger Tibets wurden von der Zentralregierung zu offiziellen Vertretern ihrer Region ernannt.
1950 marschierten die Soldaten der chinesischen Armee in Tibet ein. Im November 1950 reichte Tibet Klage vor der UNO ein. Es begannen Verhandlungen zwischen China, vertreten durch Zhu En Lai und Mao Zedong und Tibet, repräsentiert vom heutigen Dalai Lama und seinen Beratern. Diese endeten in dem berühmten 17-Artikel-Abkommen, das am 23. Mai 1951 vom tibetischen Oberhaupt unterzeichnet wurde.
Dieses Abkommen sicherte China die Souveränität über Tibet. China garantierte Tibet mit dem Abkommen religiöse, kulturelle und weitgehende politische Freiheiten zu.
Am 22. April 1956 besuchte eine Delegation der Zentralregierung unter Leitung des Vize Premiers Chen Yi Tibet, um die Zeremonie der Amtseinführung des Vorbereitungskommittees für die Tibetische Autonome Region zu leiten. Mehr als 30,000 Tibeter unter ihnen Mönche und Lamas begrüßten die Delegierten.
Die tibetische Bevölkerung wehrte sich jedoch gegen Eingriffe in ihre Sozialstruktur und die althergebrachte Kultur seines Landes. Dies führte zu Unruhen und massiven Protesten. Es bildete sich eine tibetische Guerilla heraus, die gegen die chinesische Hoheit operierte. Der Dalai Lama weigerte sich, den tibetischen Freischärlern Einhalt zu gebieten und verließ sein Land, um nach Indien zu flüchten, wo er am 30. März 1959 ankam. Seither versucht er von seinem Exil politisch und religiös auf Tibet einzuwirken.
In Briefen, die er während seiner Flucht an die Regierung in Beijing schrieb, erläuterte er mehrfach, dass er mit dem Volk fliehen musste. Diese Dokumente sind heute noch erhalten.
Vor der Demokratischen Reform lebten ca. 980,000 Menschen in Tibet. Der Dalai Lama als Repräsentant des Systems war der mächtigste Mann und führte mit der Oberschicht der Feudalherren und den hohen Würdenträgern der Kirche ein diktatorisches Regime. Die große Mehrheit, ca. 95 % der Untertanen waren Leibeigene und Sklaven. Sie kannten weder demokratische Freiheit noch Menschenrechte, während die Statthalter – offizielle Amtsträger, Feudalherren und geistliche Würdenträger - die Gerichte und Gesetze nutzten, um die Leibeigenen und Sklaven zu unterdrücken. Dieses System behinderte den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt Tibets. Die Region blieb unterentwickelt, war geprägt von Elend und Armut. Vor 1959 gab es in dem System der bKav-Shag 197 gut gestellte Familien. Davon waren 25 reiche Feudalherren, 26 Familien gehörten der Mittelschicht an, 146 waren den kleinen Feudalherren zuzurechnen
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Im Jahr 1961 rief die chinesische Zentralregierung die Gründung der Tibetischen Autonomen Region aus. Es gab die ersten allgemeinen Wahlen in Tibet. 1965 fand in Lhasa der erste Volkskongress der Tibetischen Autonomen Region statt. Der Kongress wählte das Volkskommittee der Autonomen Region Tibets. Ngabo Ngawang Jime wurde zum Vorsitzenden der ersten Regierung der Region ernannt.
Die Kulturrevolution (1966 – 1976) forderte in ganz China sehr viele Opfer. Berüchtigte Jugendverbände führten ihren bürgerkriegsartigen Feldzug gegen den „bürgerlich-reaktionären“ Flügel. Millionen von etablierten Funktionären und Intellektuellen fielen der Denunziation, Folter und Mord zum Opfer. Das Land war außer Kontrolle geraten.
Wichtige Kulturdenkmäler wie Tempel und Klöster wurden zerstört und beschädigt, wertvolle Relikte entwendet oder zweckentfremdet. In dieser Zeit gefielen sich viele Politiker als Revolutionäre. Sie duldeten keinerlei religiösen Aktivitäten.
Geschichtsträchtige Denkmäler wie der Potala Palast in Lhasa und die Tigergärten von Suzhou entgingen der Zerstörung nur, weil sie durch die Soldaten der Volksbefreiungsarmee des damaligen Premierminister’s Zhou En Lai geschützt wurden.
Ende der 70er Jahre (1978/1979) änderte sich die Einstellung der chinesischen Zentralregierung gegenüber den Religionen. Die Tempel und Klöster wurden im Auftrag der chinesischen Regierung größtenteils wieder aufgebaut und renoviert. Sie stehen nun allen Besuchern zur Besichtigung offen. Heute führt die chinesische Zentralregierung eine offene Religionspolitik. Im politischen Bericht des letzten Kongresses wird ausdrücklich auf die positiven Auswirkungen der Kirche auf ein harmonisches Zusammenleben in der Gemeinschaft des Volkes hingewiesen. Auch in Tibet praktizieren Moslems und Christen neben buddhistischen Mönchen ihren Glauben. In der Autonomen Region leben heute mehr als 46.300 Mönche und Nonnen.
Tibet beginnt seinen stetigen wirtschaftlichen Aufstieg. Mit der Erschließung der Infrastruktur bewirkt China für eine Region, die bis dahin von der Außenwelt ziemlich abgeschnitten und daher unterentwickelt war, einen großen Schritt in eine moderne Zukunft, die den Menschen echte Perspektiven bietet. Erschwerend muss sich die Verwaltung in Tibet auch gegen Widerstände und gegensätzliche Interessen der tibetischen Volksstämme untereinander durchsetzen und interne Konflikte friedlich lösen.
China fördert die Weiterentwicklung der tibetischen Sprache, deren Wortschatz noch bis Ende der 50er Jahre unterentwickelt war, da viele Begriffe für moderne Errungenschaften nicht existierten. Diese wurden dann aus der chinesischen Sprache übernommen. Es gibt heute zum Beispiel Fachwörterbücher für Physik und Chemie etc. Die Kinder genießen ein hervorragendes Schulsystem. Vor 1959 war der Schulbesuch ein Privileg, das nur den adligen Familien vorbehalten war. Kinder der Leibeigenen und Sklaven hatten keinen Zugang zur Bildung. Heute steht das Schulsystem allen offen. Für die Armen in ländlichen Gebieten ist der Schulbesuch kostenfrei.
Als Autonome Region ist Tibet von der Ein-Kind-Regelung ausgenommen. Eine Maßnahme, die zur Erhaltung der alten sozialen Strukturen der Familien beiträgt.
Tibetisch und Mandarin sind die offiziellen Amtssprachen, die parallel angewendet werden. Daneben lernen Studenten heute Englisch als weitere Sprache.
China bemüht sich um die Erhaltung von Kultur, Kunsthandwerk und Traditionen, wie die zahlreichen Reiterspiele, die rituellen Cham Tänze bei den berühmten Mönlan Festen . In Museen werden die Errungenschaften Tibets im technischen wie auch medizinischen Bereich anschaulich dargestellt. Traditionelles Handwerk wie Teppichherstellung, Produktion von Wolle und Leder, wird besonders gefördert.
Seit 1951 leistete China aus dem zentralen Budget finanzielle Hilfe in Höhe von über 160.000 Milliarden RMB. Für Baumaßnahmen flossen in den Jahren 1951 bis 2007 178,67 Milliarden RMB aus dem zentralen Budget nach Tibet. 1954 wurden die wichtigen Schnellstraßen Xikang-Tibet und Qinghai–Tibet dem Verkehr übergeben.
Von 1994 bis 2007 unterstützten Provinzen, Municipalities und Autonome Regionen sowie 17 große zentrale Staatsunternehmen 3099 Entwicklungsprogramme in Tibet mit einem Investitionsvolumen von ungefähr 9,66 Milliarden RMB.
Seit der Dritten Konferenz für die Arbeit in Tibet im Jahre 2001 stieg Tibets Bruttosozialprodukt um 12 %. Es erreichte 2007 einen Wert von 34.219 Milliarden RMB; und liegt damit wesentlich höher als noch im Jahr 1957, als 174 Milliarden RMB ausgewiesen wurden. Das Pro-Kopf-Einkommen der Bauern und Viehzüchter stieg von 35 RMB im Jahr 1959 auf 2788 RMB in 2007.
Alle ethnischen Gruppen Tibets arbeiten zusammen mit der ganzen Nation Chinas am Aufbau der Infrastruktur, um in der Autonomen Region Tibets ein modernes Straßennetz zu errichten, das im letzten Jahr immerhin schon 48.600 km ausmachte.
Die Qinghai-Tibet Eisenbahn trägt zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bei und eröffnet weitere neue Möglichkeiten einer zukünftigen positiven Entwicklung.
Eine derart tiefgreifende Verbesserung in allen Bereichen bis hin zur regelmäßigen medizinischen Versorgung hat auch die durchschnittliche Lebenserwartung der Tibeter von 35,5 Jahren im Jahr 1959 auf 67 Jahre (2007) erhöht.
In China selbst findet Tibet vor allem in akademischen Kreisen starkes Interesse als Region für Erholung, inneren Ausgleich und Ruhe. In dem chinesischen Lied „Back to Lhasa, to Potala“ wird die Heimat der Seele besungen, die dort Ruhe und Gelassenheit zu finden hofft. In interessanten Artikelserien zeigen Chinesen, wie gut sie Tibet kennen und bringen ihre positive Haltung gegenüber der Region und ihren schnellen Fortschritt zum Ausdruck.
China hat während der letzten 15 Jahren sehr schnelle und tiefgreifende wirtschaftliche Veränderungen erlebt. Nach der Zeit von Mao Zedong kam die Planwirtschaft, die sich in eine boomende Marktwirtschaft verwandelt hat.
Durch die rasante Öffnung zur Welt war China bei der Gesetzgebung überfordert, aber die Justiz ist derzeit sehr bemüht, Gesetze an die neuen Gegebenheiten anzupassen bzw. Gesetzeslücken zu schließen.
Eine Demokratie wie sie in der westlichen Hemisphäre praktiziert wird, lässt sich auf China kaum übertragen. Die Zentralregierung in Beijing hat in diesem riesigen Land, Aufgaben zu bewältigen, die in dieser Form und Dimension in keinem anderen Land zu finden sind. Hier findet man nicht nur die größte Bevölkerungsdichte der Erde, sondern muss auch den unterschiedlichsten Erwartungen einer sehr hohen Anzahl von ethnischen Gruppen gerecht werden. Eine Herausforderung, die nur mit großen Anstrengungen und vorausschauendem Weitblick zu bewältigen ist.
Wie wir aktuell an der Erdbebenkatastrophe in der Provinz Sichuan erleben, zeigt China der Welt, wie eng ein Volk zusammenrücken kann. Innerhalb kürzester Zeit war effiziente Hilfe im betroffenen Katastrophengebiet. Höchste Regierungsvertreter standen mit den Helfern Seite an Seite an vorderster Front und leisteten die Hilfe, die notwendig war. Die Volksbefreiungsarmee und andere Rettungsteams sind in unzugängliche Berggebiete vorgedrungen, um ihre Mitmenschen zu retten. Die Dimension des inneren Zusammenhaltes des chinesischen Volkes konnte während der dreitägigen Staatstrauer für die Erdbebenopfer sehr deutlich empfunden werden.
Die Bevölkerung Chinas empfindet die Demonstrationen im Ausland gegen Beijing als Austragungsort der Olympischen Spiele 2008 und Anfeindungen während des Fackellaufes der olympischen Flamme als tiefe Demütigung.
Die Begeisterung, die die gesamte Bevölkerung Chinas in der Vorbereitungsphase für dieses überragende Sportereignis zeigt, beweist dem IOC, dass die Vergabe zur Austragung der Spiele an China kein Fehler sein kann. In China leben ein Fünftel der Menschen der Erde, die den olympischen Geist mit großen Enthusiasmus in die Welt hinaustragen.
Karl-Heinz Gass
Botschafter der Freundschaft
des Chinesischen Volkes
Beijing, 27. Mai 2008
quelle: http://www.hessen-vrchina.de
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